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Angelika W. (66), 25.01.2012 14:53 Uhr
Ich wurde 1945 unehelich in Deutschland geboren. Meine Mutter war mit meiner Oma 1944 aus Schlesien nach Deutschland geflüchtet, um sich ein neues Leben aufzubauen.
Für uns waren es harte Jahre, da mein Vater nichts von mir wissen wollte und uns allein gelassen hat. Doch meine Mutter war eine Kämpferin und hat mit ihrem neuen Mann, der für mich wie ein richtiger Papa war, und meiner Oma für mich und meinen Stiefbruder gesorgt. Wir hatten nicht viel, lebten auf engstem Raum und haben in unserem Strebergarten angebaut und eingeweckt, was wir für den Winter zum leben brauchten. Doch es waren auch gute Zeiten. Meine Familie hatte Arbeit, wir sind als ich 9 war in das Haus der Eltern von meinem Papa gezogen und waren auch mit wenig glücklich. So lernte ich schon sehr viel bevor ich zur Schule kam, für mein späteres Leben.

Doch einer der schwersten Tage in meinem Leben war im August 1957... Ich war gerade mal 11 Jahre alt und ging in die 6te Klasse. Da ich von zierlicher Gestalt war, wurde ich in den Sommerferien durch das rote Kreuz zur Erholung in ein Kinderheim beim Zwischenahner-Meer geschickt. Meine Eltern besuchten mich jeden Sonntag mit Ihrem Motorrad. Am letzten Sonntag, als sie bei mir waren, brachten sie auch meine jüngste Cousine in dem Beiwagen mit. Auf dem Nachhauseweg verunglückten sie tödlich durch einen Unfall mit einem Bus. Meine Cousine überlebte schwerverletzt und brauchte etliche Monate um wieder gesund zu werden. Nie vergesse ich den Moment, als ich bei der Oberschwester auf dem Schoß saß und sie mir unter Tränen die Geschichte erzählt hat. Ich konnte das gar nicht glauben und begreifen... es war wie ein schlimmer Albtraum. Auch als mich 2 Tage später die Eltern meiner Cousine (meine Tante und mein Onkel) abgeholt haben und mich zu meiner Oma nach Hause brachten, kam mir alles so leer und fremd vor – nichts war so wie es mal war.

Trotzdem ging der Alltag weiter... Die Schule fing wieder an. Meine Mitschüler wussten bescheid, doch wussten sie nicht, wie sie mit mir umgehen sollten. Für alle war es eine merkwürdige Situation. Der Schulrektor hat sich sehr um mich bemüht und hat mich mit den höheren Jahrgängen auf einen Schulausflug mitfahren lassen. Ich sollte auf andere Gedanken kommen. Meine älteren Mitschüler bemühten sich sehr um mich, waren immer an meiner Seite und hatten immer ein offenes Ohr und tröstende Worte für mich.
Ein paar Wochen nach dem Ausflug konnte ich mit meiner Oma bei meiner Tante und meinem Onkel einziehen. Es war für sie nicht leicht, da ihr Kind ja sehr gelitten hatte, aber mit der Zeit waren sie wie meine Eltern für mich. Mein Stiefbruder ist zu seinen Großeltern gegangen. Der Kontakt blieb aber zwischen uns bestehen.

Früh kam für mich der Gedanke, dass ich einen Beruf erlernen muss, damit ich auf eigenen Beinen stehen konnte und dadurch von niemanden abhängig sein musste. Ich wollte das erreichen was andere Kinder durch Ihre Familie bekommen haben.

Die Liebe meiner Verwandten hat mir den nötigen Halt und Hoffnung gegeben mein Leben zu meistern. Sie waren immer für mich da, haben mich unterstützt und mich wieder auf die Beine gebracht. Ich habe lange Zeit gebraucht es zu verstehen und zu verarbeiten... aber so ein Schicksal begleitet einen sein ganzes Leben. Dieses traurige Ereignis hat mich allerdings auch unheimlich stark gemacht und meinen Willen geprägt, der mich mein Leben viele weitere Situationen hat meistern lassen. Das Leben ist ein Kommen und Gehen, was durch niemanden beeinflusst werden kann. Die Menschen bleiben in deinem Herzen - auch wenn sie von dir gehen mussten.